Seit einer Woche gilt nun formal die Impfpflicht für Menschen in medizinischen Berufen. Im Schatten des Krieges in der Ukraine war das Thema medial vielleicht nicht allzu präsent, aber ganz unter ging es auch nicht. So erstellte ich in Ilmenau einen Jodel, der die Solidarität mit den Betroffenen zum Ausdruck brachte. Innerhalb einer Stunde erhielt dieser Jodel leider zu viele Downvotes und verschwand, sodass ich direkt danach eine Umfrage startete, ob man lieber eine ungeimpfte oder gar keine Pflegekraft hätte.

Abgesehen vom interessanten Ergebnis, dass innerhalb von 24 Stunden ganze 46 Leute angaben, lieber gar keine Pflegekraft haben zu wollen als eine ungeimpfte, empfand ich den Blick in die Kommentare des Jodels mehr als ernüchternd. Wer sich nicht impfen lasse, sei ein „Medizinverweigerer“ und man müsse die Frage stellen, „ob diese Leute nicht auch alle anderen Bereiche der Humanmedizin boykottieren“. Es wird die Kompetenz der Pflegekräfte angezweifelt, schließlich seien „mehr als eine Milliarde Impfungen ohne Probleme über die Bühne gegangen“.

Die hundertprozentige Gewissheit, mit der viele Leute – wie in diesem Beispiel – argumentieren, ist etwas, was mich immer wieder schockiert. Ich habe kein Problem damit, wenn jemand nach Abwägung der Argumente zu dem Schluss kommt, dass eine Impfung grundsätzlich sinnvoll sei. Aber mit der Aussage „es gibt keinen nachvollziehbaren Grund sich nicht impfen zu lassen“ komme ich nicht klar. Entweder hat man sich nicht ausgewogen mit der Thematik auseinandergesetzt oder man redet Politik und Medien nach dem Mund. Doch sollte man nach zwei Jahren voller falscher Versprechen und Prognosen nicht ein wenig vorsichtiger geworden sein?

Grundsätzlich bin ich ja ein Freund des konstruktiven Austauschs mit Menschen, die eine andere Meinung vertreten als ich. Doch wie bitte soll man mit jemandem reden, der alle gegenläufigen Ansichten als nicht seriös, dumm oder einfach falsch abstempelt? Wenn Medien, die über nachvollziehbare Fakten berichten, unglaubwürdig sind? „Reitschuster ist doch nicht seriös“ habe ich in den letzten zwei Jahren mehr als einmal gehört. Als ob es die Primärquellen nichtig machen würde, die dort zitiert werden.

Ich werde den Eindruck nicht los, dass diese Menschen beim Coronathema zu Selbstreflexion oder kritischem Denken nie mehr fähig sein werden. Es ist schlicht nicht verkraftbar für jemanden, der in der Vergangenheit die Maßnahmen stets verteidigt und Kritiker scharf verurteilt hat. Dahingegen dürfte einer, der einfach mitläuft und sich null für Politik interessiert, deutlich zugänglicher sein, um Argumente wenigstens nachzuvollziehen.

Je mehr solcher Erfahrungen ich im Internet oder im echten Leben mache, je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass es nicht mehr viel bringt mit solchen Leuten Argumente auszutauschen. Und das ist etwas, was mich sehr erschreckt, weil es genau das Gleiche ist, was man von der Gegenseite hört: mit denen kann man nicht redendie sind verschwörungsideologisch viel zu verblendetdas ist ein entzündeter Blinddarm, der entfernt werden kann. Hier die gleiche Art der Ignoranz anzuwenden wäre etwas, das ich nur schmerzlich durchziehen könnte.

Doch vielleicht kann die erneute Ernüchterung eine Gelegenheit sein, um den „argumentativen Aktivismus im Internet“ unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Vielleicht sollte ich eher versuchen die Bemühungen im Sinne der Mitlesenden zu sehen. All die Mitläufer, die sich generell wenig oder vorsichtig äußern – die müssen es doch irgendwann merken, dass hier etwas schief läuft in diesem Land. Dass es nicht angehen kann, Menschen mit einer Pflicht zu einem „freiwilligen“ medizinischen Eingriff zu nötigen. Von ihnen ist zwar keine politische Gegenwehr zu erwarten, doch zumindest besteht hier die Chance, dass sie sich ein Stück Menschlichkeit bewahren, sollte die von den Corona-Jüngern eines Tages über Bord geworfen werden. Ob der anonyme Internet-Aktivismus da weiterhilft, ist zwar fraglich, aber es ist ein Gedanke, der mir zumindest jetzt noch Motivation genug gibt, um mich weiterhin ins toxische Fahrwasser sozialer Netzwerke zu begeben.