Deutschland zählt zu den wenigen Ländern, in welchen eine Schulanwesenheitspflicht gilt. Wird es nicht Zeit, auch in Deutschland darüber nachzudenken, die Präsenzpflicht in Schulen abzuschaffen? Dabei gilt zu bedenken, dass mit dem Abschaffen der Präsenzpflicht nicht das Abschaffen von Bildung gemeint ist, sondern lediglich von der Pflicht, eine Schule besuchen zu müssen. Die verschiedensten Länder, in denen es die Pflicht nicht gibt und wo somit Hausunterricht erlaubt ist, haben wiederum unterschiedlichste Methoden, die Bildung der Kinder dennoch sicherzustellen und zu prüfen. Unser deutschsprachiges Nachbarland Österreich zum Beispiel erlaubt den Unterricht zu Hause, mit jährlichen Prüfungen der Kinder und Jugendlichen. Sollten diese Prüfungen nicht bestanden werden, so kann eine Schulanwesenheitspflicht für die betreffenden Jugendlichen oder Kinder veranlasst werden. [1]
Auf diese Weise wird ein gewisser Bildungsgrad sichergestellt und verhindert, dass Kinder keine Bildung erhalten.
Doch ist Schulunterricht nicht viel besser als zu Hause unterrichtet zu werden?
Ja, in einigen Fällen vielleicht, in anderen aber wiederum nicht. Schule ist auch in Deutschland nicht oder nicht mehr gleichbedeutend mit guter oder ausreichender und sicherer Bildung. Nur weil Absolventen eines Lehramtsstudiums den Unterricht gestalten, ist ausreichend gute und kompetente Wissensvermittlung noch lange nicht garantiert.
Die eigene Erfahrung aus der Praxis oder auch die einfache Beobachtung der Realität zeigen das absolute Gegenteil. Auch persönliche Unterhaltungen mit Studenten eines Lehramtsstudienganges zeigen nochmal deutlich, dass nur die wenigsten überhaupt an der Wissensvermittlung interessiert sind. Eine gefühlte Mehrheit der Studenten vermerkt, dass sie primär an der einfachen und sicheren Arbeit und den Privilegien einer Anstellung als Lehrer interessiert sind.
Eine “Studitemps”- Umfrage ergab zudem, dass 30% der Lehramtsstudenten nicht daran interessiert sind, als Lehrer tätig zu werden [2]. Es ist daher nicht pauschal anzunehmen, dass ein Lehrer bzw. das Konstrukt Schule gute Bildung liefert. Tatsächlich zeigt eine Untersuchung in den USA, dass Schüler im Hausunterricht bessere Testergebnisse hervorbringen als jene an konventionellen Schulen [3]. Doch natürlich sind solche Untersuchungen mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Ein Abtun der zu Hause unterrichteten Schüler als weniger gebildet ist jedoch definitiv als falsch zu bewerten. Folgt man der vermerkten Umfrage, so scheint eher das Gegenteil zu stimmen.
Neben der Bildung ist Schule aber auch ein Begegnungsort, ein Ort, an dem Freundschaften entstehen können, Kinder und Jugendliche das soziale Miteinander erleben und erlernen können. Gleichzeitig kann dieses soziale Miteinander unter wenigen andere negativ betreffen. Nämlich genau dann, wenn Mobbing und Ausgrenzung zum Alltag für Schüler werden.
Wenn der Schulgang kein konstruktives soziales und bildungsreiches Erlebnis darstellt, sondern als destruktive Lebenserfahrung aufgefasst wird. Auch ohne die Präsenzpflicht können Kinder weiterhin soziale Erfahrungen sammeln, nämlich in den unzähligen Vereinen deutschlandweit – beispielsweise Sportvereine, Schachclubs, Modellbauvereine und viele mehr. Hier können die Kinder auch frei wählen und entscheiden, ob die Menschen zu ihnen selbst passen und ob sie sich weiter mit den Kindern und Menschen des gewählten Vereins umgeben wollen. Da Mobbing auch ein empfundenes Gefühl ist und Umfragen zu Mobbing unterschiedliche Fragestellungen nutzen, ist eine Analyse zu Mobbing in Schulen schwierig. Körperliche Gewalt ist jedoch klar definiert. Und dabei zeigt sich ein deutlicher Anstieg.
2018 gaben 26% der befragten Lehrkräfte an, physische Gewalt erfahren zu haben – 2020 waren es schon 34%. Es ist leicht anzunehmen, dass, wenn die physische Gewalt gegen Lehrkräfte zunimmt, dass dies auch unter Schülern der Fall ist. In NRW gab es darüber hinaus einen Anstieg von Messerangriffen an Schulen um 47% [4].
Die Schule als sichere und sozial konstruktive Begegnungsstätte ist also bei weitem kein Standard.
Die gängigen Argumente, dass man nur in der Schule vernünftige Bildung erhalte und soziale Bindungen aufbauen könne, ist als deutlich widerlegt zu erachten oder zumindest als nicht allgemeingültig. Es mag auf einige Schulen zutreffen, jedoch auf andere offensichtlich wieder nicht. Es kann auch besonders von den Ortschaften und Gegenden abhängen, in denen sich die Schulen befinden.
Doch gerade dann sollten Eltern und entsprechend auch Schüler die Möglichkeit haben, frei zu wählen, ob sie eine konventionelle Schule besuchen möchten oder ein anderes Bildungsangebot wahrnehmen, zum Beispiel einfachen Hausunterricht.
Quellen:
[1] https://www.homeschoolers.at/gesetzliche-vorgaben
[2] https://jobvalley.com/de-de/blog/studierende-in-deutschland-zielbranchen-undwunscharbeitgeber/.
[3] https://www.nheri.org/research-facts-on-homeschooling/.
[4] Süddeutsche
Danke für den Artikel. Wir geht die Schulpflicht schon lange gegen den Strich. Als kleiner Schüler hab ich mich dran gestört, aber dachte “das muss halt sein”. Heute mein ich: Die Schulpflicht ist ein autoritäres Werkzeug der Preußenzeit. Sie dient dazu die Menschen flächendeckend für die Zwecke anderer verfügbar zu machen und Eltern zu entmündigen.
Ja ich habe Schule auch zeitweise fast schon gehasst und es nur dadurch ertragen, dass ich mir gesagt habe: Du musst da durch, weil es Pflicht ist und danach kannst du dir vielleicht etwas “freieres” erarbeiten – und das habe ich in gewisser Weise auch geschafft. Studium ist ja (zumindest in einigen Studiengängen) bereits etwas freier und man kann auch auf eine Arbeit hinarbeiten, in der man einen gewissen Freiheitsgrad hat. =)