“Frohes Neues Jahr”, schrien wir alle und tranken darauf einen Sekt. Doch das war nicht alles. Zuvor gab es vier Bier, bis wir dann auf “Mische” umgestiegen sind. Nach dem Sekt ging es weiter mit Mische und “Kurzen” im regelmäßigen Wechsel.
So oder so ähnlich sieht wohl der Jahreswechsel des durchschnittlichen Menschen in Deutschland aus, dominiert von Alkohol.
Wie viele wohl den eigentlichen Jahreswechsel, also das Umschalten der Uhr von 23:59 Uhr am 31.12. auf 00:00 am 01.01. noch in Erinnerung haben. Wie viele brauchen den Neujahrstag tatsächlich, um “auszunüchtern”, also, um wieder gesund zu werden, nachdem man sich selbst mehr oder weniger bewusst und freiwillig krank gemacht hat?
Ja, Alkohol ist ein Problem unserer Gesellschaft. Natürlich klingt es immer oberlehrerhaft, dies zu sagen, trotzdem ist es wahr und muss benannt werden.
Natürlich nehme ich mich nicht aus. Auch ich habe nach wie vor Lust hin und wieder vor allem zu besonderen Anlässen wie z.B. Silvester “einen zu trinken”. Und nein. Allgemein würde man mich sicher nicht als alkoholabhängig bezeichnen. Ich trinke selten Alkohol. Zum Abendessen kein Bier oder Wein und auch nicht an Wochenenden, zu Partys oder Clubbesuchen. Doch zu bestimmten allgemeinen und persönlichen Ereignissen überkommt auch mich das Verlangen. Und genau das ist es doch, ein Verlangen.
Doch woher kommt dieses Verlangen? Wieso ist Alkohol so “beliebt”, warum trinken wir?
Natürlich sind die spezifischen Gründe mannigfaltig, doch lassen sich wohl drei übergeordnete Gründe angeben:
Der Stress, der Gruppenzwang und der Genuss. Auf alle drei gehe ich im Folgenden näher ein.
Stress
Gerade in oder nach stressigen Situationen oder Tagen ist das Verlangen nach Alkohol bemerkbar.
Alkohol unterstützt die Bildung des Neurotransmitters GABA. Dadurch kommt es zu einer Reduzierung der Nervenzellaktivität und zu der bekannten Entspannung beim Trinken von Alkohol.
Außerdem regt Alkohol die Ausschüttung der Hormone Serotonin und Dopamin an, welche umgangssprachlich auch als Glückshormone bezeichnet werden.
Serotonin wirkt dabei ebenso entspannend wie angstlösend und erzeugt damit ein Wohlgefühl, welches den Weg in die Abhängigkeit ebnet.
Das Hormon Dopamin ist Bestandteil des “Belohnungssystems” im Gehirn und wird bei positiv-empfundenen Erlebnissen ausgeschüttet, wie zum Beispiel durch einen Sieg in einem sportlichen Wettkampf, einer guten Zensur oder einem beruflichen Erfolg.
Durch die Ausschüttung des Hormons beim Alkoholkonsum wird Alkohol positiv empfunden und der Konsum als Belohnungswert angesehen.
Der relativ leichte Prozess hin zum Belohnungsgefühl ebnet zusätzlich den Weg in die Abhängigkeit. Anders als bei dem üblichen Weg, bei dem zunächst gearbeitet werden muss, um ein Ziel und damit die “Belohnung” zu erreichen, reicht es beim Alkohol aus diesen zu kaufen und zu trinken.
Sobald Alkohol gezielt zur Entspannung und dem “Belohnungsgefühl” (vor allem ohne vorangegangen Leistung und Erfolg) getrunken wird, könnte bereits von einer Abhängigkeit gesprochen werden.
Gruppendynamik
Die Gruppendynamik ist gerade in jungen Jahren einer der Hauptgründe dafür, Alkohol zu konsumieren.
Die Angst, ausgeschlossen zu werden und nicht dazuzugehören, ist nicht zu vernachlässigen und bewirkt schnell, dass Dinge auch ohne eigene Überzeugung getan werden, so eben auch das Trinken von Alkohol.
Bei Gruppenzwang ist es relativ unerheblich, ob die Gruppe dieses Verhalten fordert oder es nur subjektiv als notwendig empfunden wird.
Außerdem fällt es unsicheren Jugendlichen leichter, sich durch die entspannende Wirkung des Alkohol, in der Gruppe zu behaupten.
Da unsere Gesellschaft dem Alkoholkonsum weitgehend unkritisch und darüber hinaus eher noch förderlich gegenübersteht, begünstigt dies das Verhalten junger Menschen, Alkohol zu trinken, um gesellschaftlich eingegliedert beziehungsweise erwachsen zu wirken.
Tradition
Der Konsum aus kulturellen Gründen darf natürlich nicht unerwähnt bleiben und stellt wohl eine besondere Form der Gruppendynamik dar.
Auch wenn dabei der Alkohol-Effekt nicht im Vordergrund steht oder stehen sollte, sondern in der Regel die Würdigung alter Traditionen. Dennoch, um zu einer Gemeinschaft dazuzugehören, ist es gegebenenfalls notwendig, gewisse Traditionen einzuhalten, um nicht ausgeschlossen zu werden. Wenn diese Feste und Rituale geboren durch alte Traditionen, den Konsum von Alkohol verlangen, so ist es wohl nur schwer, sich dem zu widersetzen.
So ist Wein teil der christlichen und jüdischen Religion und vieler damit verbundener Feste und Rituale, wie zum Beispiel dem Abendmahl oder dem Seder-Mahls.
Dem gegenüber stehen aber auch solche Religionen wie der Islam oder Buddhismus, die Alkohol wegen seiner psychischen Wirkung komplett ablehnen.
Genuss
Einige alkoholische Getränke weisen natürlich auch einen eigenen besonderen Geschmack auf.
Alkohol ist Geschmacksträger für Aromen und wird daher in einigen Getränken und Speisen als notwendig erachtet.
Der Konsum selber ist daher nicht nur auf Gruppendynamiken oder auf den erheiternden und entspannenden Effekt zurückzuführen, sondern kann sicher auch mit dem einfachen Genuss verbunden sein.
Die Frage, “warum trinke ich”, kann nur jeder für sich selbst beantworten. Trinke ich, weil ich den Geschmack meines Weines oder Whiskys besonders mag und genieße oder trinke ich, weil ich dazugehören möchte, um Teil einer Gruppe zu sein. Oder gar, weil ich so angespannt bin, dass ich anders als durch Alkohol nicht mehr entspannen kann.
Neben persönlich-individuellen Betrachtung ist aber auch die gesellschaftliche Alkohol Abhängigkeit zu Bennen.
Die gesellschaftliche Anerkennung und zum Teil Förderung und Glorifizierung des Alkoholkonsums darüber hinaus des exzessiven Konsums erleichtern beziehungsweise fördern nämlich den Einstieg des Einzelnen.
Dieser Einstieg führt schnell in eine Form der Abhängigkeit.
Und ja, abhängig sind wohl die Meisten auch wenn sie (noch) nicht täglich trinken oder es als störend oder besorgniserregend angesehen wird.
Schon das Verlangen bei bestimmten (meist verhältnismäßig kleinen) Anlässen macht dies deutlich.
Zu jedem Abendessen ein Wein, um sich vom anstrengenden Tag zu entspannen oder beim Treffen mit den Freunden das obligatorische Bierchen.
Dem Wein wird zur Entschuldigung sogar eine gesundheitsfördernde Wirkung nachgesagt – Aber Rauchen galt ja auch als Gesund, ist solchen Aussagen daher zu trauen?
Die Gewohnheit und die damit sich etablierende Sucht werden außer Acht gelassen.
Ebenso der Konsum beschränkt auf Wochenenden in Clubs und Bars. Auch hier ist es eine Abhängigkeit getarnt als bloße Gewohnheit. Es wird unter der Woche nur für die Party am Wochenende gearbeitet.
Und auf Partys ist es Gewohnheit und Norm, Alkohol zu trinken. Jeder, der dies ablehnt, wird gefragt, ob alles OK sei, ob man noch fahren muss oder ob man den Abend über keinen Spaß haben möchte. Jedem, der die Drinks mal hat ausfallen lassen, schießen sicher noch ganz andere Kommentare durch den Kopf.
Alkohol gehört eben bei bestimmten Anlässen so sehr dazu, dass es schon als merkwürdig gilt, wenn eine Person nicht trinkt.
Eine Gesellschaft, in welcher das nicht Konsumieren eines psychoaktiven Getränks als merkwürdig gilt, diese kann man sicherlich als abhängig und in sich destruktiv bezeichnen.
Insgesamt ist jedoch ein Wandel zu erkennen.
Jugendliche und junge Erwachsene scheinen zunehmend weniger Alkohol zu trinken. Jedoch steigt parallel dazu der Konsum von Cannabis.
Salopp könnte man daher sagen, dass die eine Droge nur durch eine andere ersetzt wird. Der Wandel ist daher wohl eher ein Tausch.
Zusätzlich zu diesem Trend soll Cannabis legalisiert werden. Dies ist für viele ein Zeichen für mehr Freiheit und Selbstbestimmung.
Doch welcher Erfolg liegt darin, wenn die Freiheit und Selbstbestimmung doch nur dafür eingesetzt werden, die Sinne auf neue Wege zu betäuben.
Ist es wirklich ein Erfolg, wenn wir als Gesellschaft nur einen weiteren legalen Weg haben, uns von unseren Problemen durch Drogen abzulenken, anstatt uns diesen Problemen ernsthaft und erwachsen zu stellen?
Sicher nicht.
Gerade heute, wo viele neue Vorsätze gefasst werden, können wir als Gesellschaft beginnen zu hinterfragen, ob die Art unseres Umgangs mit Alkohol sinnig und vor allem konstruktiv für unsere Gesellschaft ist.
Ebenso, ob das Streben nach Legalisierung von Cannabis wirklich erstrebenswert ist.
Und mit dem Hinterfragen können wir als Gesellschaft anfangen, an unseren Problemen konstruktiv zu arbeiten, statt diese durch Drogen zu betäuben und zu vergessen.