Der größte gemeinsame Nenner

Die letzten zwei Jahre waren ohne Zweifel eine Zeit der Spaltung. Diese Spaltung war und ist in allen Bereichen unseres Lebens zu spüren. Es gab zum einen die Ausgrenzung von zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen, aber zum anderen auch im privaten Bereich: viele Familien haben sich zerstritten und Freundeskreise sind auseinandergebrochen. Menschen, denen man vorher alles anvertrauen konnte, sehen einen nun als Feind. Selbst die aufgeschlossensten Gruppen waren davon betroffen. Familien, in denen vorher über jeden Unterschied hinweggesehen und jede noch so schräge Meinung von Opa toleriert wurde, laden nun die unliebsamen „Schwurbel-Enkel“ nicht mehr ein.

Diese Ausgrenzung ist in den unterschiedlichsten Familien und Freundeskreisen in etwa zum gleichen Zeitpunkt passiert. Dadurch standen viele Menschen gleichzeitig allein da. Aus dieser Verzweiflung heraus haben sich mehr und mehr Leute zusammengeschlossen und Gruppen gegründet, in denen ein Meinungspluralismus nicht nur geduldet, sondern sogar erwünscht ist.

So haben sich neue Bekannt- und Freundschaften gebildet. Da diese Leute davor aus den unterschiedlichsten Kreisen kamen, musste man sich teilweise mit bis dahin ungewohnten Meinungen auseinandersetzen und lernen, diese zu akzeptieren. Und so sitzen heute ehemalige Antifa-Mitglieder neben überzeugten AfD-Wählern am Lagerfeuer und trinken gemeinsam Bier. In diesen Gruppen fokussiert man sich nicht auf die Unterschiede, die man hat, sondern auf den größten gemeinsamen Nenner. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Unterschiede nicht benannt werden. Gerade weil diese Gruppen so divers sind, wird die eigene Meinung in allen Bereichen immer wieder herausgefordert. Es ergeben sich regelmäßig Debatten mit einem sehr weiten Meinungsspektrum, aber alle Beteiligten begegnen sich dabei meist auf Augenhöhe.

Für eine freie Meinungsbildung und das ständige Hinterfragen seiner eigenen Position sind diese Gruppen sehr wertvoll. Während man sich in seinen alten Kreisen oft nur mit Gleichgesinnten umgeben hat, muss man sich in Gruppen wie „Studenten Stehen Auf“ mit vielen konträren Meinungen auseinandersetzen. Und trotz der konträren Meinungen vergisst man nicht die Person, die hinter einer Meinung steckt. Und dieser respektvolle Umgang miteinander und die Wertschätzung jedes Individuums, trotz oder wegen dessen Meinung, fehlt in der breiten Gesellschaft.

Die Akzeptanz und Toleranz anderer Meinungen haben in den letzten Jahren extrem abgenommen. Dabei spielt es keine Rolle, ob man in das linke, das rechte oder sonst irgendein Lager schaut. Das liegt vermutlich daran, dass man sich mehr und mehr nur in seiner eigenen „Bubble“ bewegt. Auch „Studenten Stehen Auf“ sollte immer für einen Dialog mit Kritikern bereit sein, um nicht selbst diesem Problem zu erliegen.

Zwar haben sich nun neue Gruppen gefunden und man hat ganz wunderbare Menschen kennengelernt, doch so ist dies hoffentlich nicht das Ende der Geschichte. Es wäre wünschenswert, wenn all die zerbrochenen Freundschaften und Familien wieder zusammenfinden würden. Aber das funktioniert nur, wenn wir alle respektvoll miteinander umgehen und lernen, die Meinung anderer wieder wertzuschätzen. Wäre dies von Anfang an der Fall gewesen, hätte es gar kein Bedürfnis nach Gruppen wie „Studenten Stehen Auf“ gegeben. Der Appell geht dabei an alle: Es geht nicht darum, andere zu bekehren, sondern andere zu verstehen. Das ist der einzige Weg aus dieser Spaltung heraus. Diesen Weg zu finden wird für die zukünftigen Probleme und Herausforderungen unserer Zeit immer wichtiger, da die Kluft zwischen den Menschen sonst nur noch größer und irgendwann vielleicht unüberwindbar wird.