Gedanken zum Januar

In der Vergangenheit habe ich Demonstrationen besucht, in der Familie und auf der Arbeit meine Meinung kundgetan und wurde infolge dessen als Querdenkerin und Verschwörungstheoretikerin abgestempelt. Etwas als Verschwörungstheorie abzutun, ist heute das Totschlagargument schlechthin. Jede Diskussion soll so obsolet gemacht und das Gegenüber als Schwachkopf dargestellt werden. Ich habe studiert und in den letzten Jahren, mit all den Einschränkungen und Diskriminierungsversuchen mir gegenüber, im Bereich Geobotanik promoviert. Jetzt arbeite ich an einer deutschen Universität in Forschung und Lehre. Ich schreibe wissenschaftliche Publikationen für Fachjournale, habe Einblicke in das Publikationswesen und dessen Auswirkungen auf Qualität und Quantität in der Forschung.

Die meisten Diskussionen, die ich mit mir unbekannten Menschen am Straßenrand oder auch im Alltag austrug, führten irgendwann zum Vorwurf der Wissenschaftsfeindlichkeit mir gegenüber. Zu der Aussage „die Wissenschaft wäre sich doch einig“: Hier wird ein grundlegendes Missverständnis von Wissenschaft deutlich. Denn Wissenschaft kann sich nicht einig sein. Wer dieses Argument nutzt, der argumentiert per se bereits unwissenschaftlich. Wissenschaft ist keine Demokratie. Neue Theorien werden so gut wie immer von einer Minderheit vertreten. Nur weil ein Erklärungsmodell von vielen vertreten wird, muss es nicht richtig sein. Wir müssen beginnen, uns mit der Glorifizierung von Wissenschaft zu beschäftigen. Der Unantastbarkeit wissenschaftlicher Studien. Der Stilisierung von Wissenschaft zu einer unumstößlichen, nicht zu hinterfragenden Wahrheit, welche auf unwissenschaftliche Weise missbraucht wird, um die eigene politische Agenda durchzusetzen. Kommunikation über Wissenschaft muss sich ändern. Wir müssen uns immer klar sein über all die Dinge, die wir eigentlich nicht wissen. Wissenschaft muss immer hinterfragt werden. In einer gelebten Demokratie darf es nicht möglich sein, dass die Verbreitung von vermeintlich unbequemen Fakten durch Zensur und Diffamierung verhindert werden kann.

Die Erlebnisse auf Demonstrationen und auch in meinem privaten Umfeld haben mir  durch den Schmerz, welchen ich erfahren habe, weitergeholfen. Sie halfen, mir über den Umgang mit Sprache Gedanken zu machen. Bei vielen Menschen führt dieses Aufwachen zu Wut und Verzweiflung über die vermeintliche eigene Machtlosigkeit. Täglich entscheiden sich Menschen, nicht sachlich mit meinen Argumenten umzugehen. Die Beleidigung ist ein Versuch, mich zu diffamieren und abzustempeln. Jedoch akzeptiere ich diese Beleidigungen nicht mehr. Im ersten Moment tut es weh, doch wenn die Kritik nicht sachlich ist, dann lasse ich mich auch nicht beleidigen. Wir sind diejenigen, die Beleidigungen zulassen.

Wir müssen uns alle fragen, wie unser Beitrag zu guter Kommunikation aussehen kann. Sollten wir nicht erst versuchen, die Perspektive des Anderen zu verstehen, statt unsere eigene Position zu stärken um die Diskurshoheit zu erlangen? Ziel für das neue Jahr kann sein zu fragen: „Was ist deine Meinung?“, sich Zeit zum Sprechen zu geben. Meist hat der Andere auch zu Teilen Recht. Gemeinsamkeiten finden anstelle zu spalten. Ein wohlmeinender Diskurs ist nötig, einer, der Minderheiten anhört, die den Finger in die Wunde legen.

Immer wieder, auch bei „Studenten Stehen Auf“, lese ich Appelle an die Wissenschaftlichkeit. Doch diese reichen nicht. Ebenso wenig wie freiheitliches Denken. Der Gedanke an Freiheit ist am Ende, was uns am Meisten quält. Die verbundene Hoffnung, die Gesellschaft möge sich ändern. Das Bewusstsein über uns selbst unterscheidet uns vom Tier, zugleich aber verzweifeln wir an genau diesem Bewusstsein. Mit dem Ziel, Leid zu vermeiden, machen wir uns immer abhängiger von Wissenschaft und Technik. Unsere frühere Abhängigkeit von der Natur tauschen wir immer mehr ein gegen eine Abhängigkeit von der Technik. Wir müssen akzeptieren, dass Menschen sich entsprechend ihres selbst empfundenen Risikoprofils für oder gegen moderne Maßnahmen der Lebensverlängerung durch die mögliche Abwendung von Krankheit unter Inkaufnahme von Nebenwirkungen entscheiden. Meine Lebensqualität steigt für mich nicht, indem ich Schmerz, Krankheit und vermeintliche Rückschrittlichkeit unter dem Verweis auf menschlichen Fortschritt abschaffe.

Ich denke,  dass wir in der Geschichte der Menschheit vielleicht ein glücklicheres Leben mit einer größeren Abhängigkeit von der Natur geführt haben. Mein Anliegen ist nicht, ein romantisch verklärtes Bild früherer Gesellschaften zu zeichnen, ich möchte aber aufzeigen, dass wir vielleicht Idealen hinterherlaufen, welche wir bereits in der Vergangenheit erreicht haben. Kann uns der Transhumanismus, welcher vom Weltwirtschaftsforum (WEF) propagiert wird, tatsächlich diesen Weg bereiten oder sollten wir die Fähigkeit, einfache Freuden des Lebens zu genießen, nicht wieder neu erlernen? Ich habe auf vielen Veranstaltungen von „Studenten Stehen Auf“ erlebt, wie losgelöst und glücklich die meisten waren, einfach nur in einer Gruppe mit Gitarren singend am Lagerfeuer sitzend, den Sternenhimmel betrachtend. Das einfache Erleben des Momentes anstelle der ständigen Beschäftigung und Ablenkung durch Mobiltelefon, Medienkonsum, Selbstoptimierung und Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken, dem rauschhaften Konsum jedweder Stimuli.

Leid muss gemindert werden; wenn Menschen leiden und früher sterben, muss dies verhindert werden – so die weitläufige Einstellung. Entschied sich ein Mensch etwa im Altersheim gegen die Isolation und für den Kontakt mit Familie und Freunden, aufgrund der persönlichen Einschätzung von Nutzen und Risiken gegen eine Impfung, so wurde er ausgegrenzt und beschimpft. Doch dürfen wir einem anderen Menschen einen vermeintlichen Fortschritt aufzwingen? Im Hinblick auf die auf uns zukommenden Entwicklungen des Transhumanismus müssen wir uns die Fragen stellen, was wir gelernt haben in den letzten Jahren, angesichts des Mitläufertums in unserer Umgebung? Was machen wir, wenn alles von vorn anfängt, vielleicht unter anderem Deckmantel? Wollen wir Versöhnung? Wollen wir Aufarbeitung? Hat sich die Vernetzung gelohnt? Die politische Arbeit? Ich denke, wenn wir die eigentlich zugrundeliegende Krise begreifen, dann haben wir als Gemeinschaft etwas erreicht. Wenn wir uns von vermeintlichen Einzelspielplätzen nicht ablenken und spalten lassen. Wir müssen uns die Frage stellen, worauf kommt es an und uns klar werden darüber, wie wir uns eine menschenwürdige Umgebung gestalten.