Was ist eine Hexenjagd?

Die Verfolgung von Hexen unterscheidet sich von anderen Arten der Verfolgung darin, dass sie ein Verbrechen zum Tatbestand macht, welches eigentlich keines ist.

Man wird nicht verurteilt für das, was man getan hat, sondern für das, was man ist oder vielmehr, was einem unterstellt wird zu sein. Taten werden zwar zur Anklage hinzugezogen, jedoch nur als Beweise für die vermeintliche Boshaftigkeit der Beschuldigten. Und um diese geht es eigentlich. Deshalb müssen diese Taten selber ja auch nicht unbedingt böse sein, um als Anklagepunkte zu gelten. Es werden ja auch solche Taten zur Verurteilung mit herangezogen, die niemandem schaden oder auch nur schaden können, weil sie nämlich in der Privatheit der eigenen Gedanken und Gefühle stattfinden.

Man verfolgt hier Gedanken- und Gefühlsverbrechen, welche in Wahrheit natürlich gar keine Verbrechen sein können. Dass unsere Gedanken und Gefühle nicht einsichtig, nicht überprüfbar und damit auch eigentlich nicht verurteilbar sind, kommt einem dabei natürlich nicht in den Sinn. Vielmehr wird die Verborgenheit der Gefühle und Gedanken als ein Beweis dafür gesehen, dass man etwas zu verbergen hat und zu verbergen versucht. Und zu verbergen hat nur, wer auch etwas zu befürchten hat und zu befürchten nur, wer sich schuldig gemacht hat.

Das ist jedoch ein weiterer Trugschluss: Wir alle verbergen schließlich fast alle unsere privaten Angelegenheiten vor fast allen anderen Menschen, nicht weil sie inkriminierend sind, sondern weil wir sie einfach nicht mitteilen wollen. Uns nicht belasten zu wollen kann sicherlich auch ein Grund dafür sein, in den meisten Fällen wahren wir aber nur deshalb Privatsphäre, weil wir es für angemessener und erträglicher halten, nicht jedem alles mitzuteilen. Dennoch: Steht man einmal unter Verdacht, so wird jedes Fehlen von Beweisen dafür als ein Beweis der eigenen Verschlagenheit und Boshaftigkeit betrachtet. Deshalb ist es auch unmöglich, sich gegen eine Hexenjagd durch Widerlegung der Beschuldigungen zu wehren: Man macht sich dadurch nur noch weiter verdächtig, bestätigt dazu noch die Logik der Hexenverfolgung und kann ihr so auch nicht mehr entkommen.

Sich als Hexe schuldig zu machen, bedeutet also auch immer, einfach dafür verurteilt zu werden, dass man ein vermeintlich schlechter Mensch ist. Was genau an einem schlecht ist und inwieweit es Anderen schadet, wird meistens gar nicht erst erläutert. Schließlich geht es ja auch gar nicht darum.

Denn bei der Hexenjagd geht es denen, die sich an ihr beteiligen, nicht wirklich um die Beschuldigten, sondern v.a. um sich selbst. Sie als vermeintlich schlechte Menschen zu verurteilen, hat den Zweck sie zu einem Sündenbock zu machen. An diesem kann man sich dann abarbeiten, die eigenen Mängel und Unsicherheiten auf ihn projizieren, sich im Abwärtsvergleich mit ihm überhöhen und das eigene Weltbild bestätigen, indem man ihn zum dafür passenden Bösewicht macht.

Damit soll natürlich nicht gesagt sein, dass jemand, der zum Sündenbock gemacht wird, sich nicht auch schuldig gemacht haben kann, nur dass er – selbst wenn er nicht unschuldig ist – eben nicht deswegen verurteilt oder verfolgt wird.

Zum Opfer einer solchen Hexenjagd und damit zum Sündenbock, kann prinzipiell jeder werden. Meistens aber wählt man sich solche Opfer, die einem durch ihre vulnerable Position gelegen kommen, die man ohnehin nicht leiden kann und die sich aus persönlichem Opportunismus besonders gut als Ziel eignen.

Hexenjagden sind schließlich ein sehr wirksames Mittel, um sich unliebsamer Menschen, Konkurrenten, Querulanten, Außenseitern und all denen, die Missgunst, Eifersucht oder Niedertracht oder sonstige negative Gefühle in uns wecken, zu entledigen.

Eine Hexenjagd kann sich dabei sowohl gegen Individuen, als auch gegen Gruppen richten und ist zwischen Gruppen oft von dem Begehren offenstehende Rechnungen realer oder eingebildeter Übel, die man durch sie erlitten hat, zu begleichen. Schließlich ist nichts so geneigt uns dazu zu bewegen, ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen für böse zu halten, wie die Überzeugung selber durch sie Böses erlitten zu haben.

Als Hexe kann also jeder jeden anklagen, aber niemand diese Anklagen widerlegen. Deshalb arten Hexenjagden auch so schnell zur Massenhysterie aus.

Was nicht auf Objektivität beruht kann auch nicht durch Objektivität widerlegt werden. Wo nicht nach Beweis und Logik geurteilt wird, kann man sich auch nicht mit Beweis und Logik verteidigen. Und was sich Menschen ohne Gebrauch ihrer Vernunft einreden oder einreden lassen, kann man ihnen mit der Vernunft auch nicht wieder ausreden.

Findet man sich also in dem perfiden Spiel einer solchen Hexenjagd wieder, so sollte man sich daran erinnern, dass der einzige Weg es zu gewinnen darin liegt, nicht mitzuspielen. Denn entweder ist sie unbedeutend genug, so dass man sie getrost ignorieren kann oder sie ist dermaßen eskaliert, dass man nichts anderes mehr machen kann als sie zu ignorieren. In jedem Fall wird sie sich früher oder später entweder ermüden, selber kannibalisieren oder an der Realität zerschellen.

Deshalb ist es wichtig, bei jeder Anschuldigung, die man selber bekommt oder gegenüber anderem vernimmt – ob nun während oder außerhalb einer Hexenjagd – eine Konkretisierung auf Kritik an Verhalten und dessen Auswirkungen einzufordern. Wo diese nicht gegeben wird, ist auch nicht weiter auf die Anschuldigung einzugehen.

Wer nichts Falsches getan und niemandem wirklich geschadet hat, hat sich auch nichts zuschulden kommen lassen und verdient somit auch keine Strafe. Wer nicht einmal etwas getan hat, sondern nur etwas gedacht oder gefühlt hat, verdient erst recht keine Strafe dafür.

Wenn wir uns an diese einfachen Prinzipien erinnern, können wir uns dem destruktiven Sog von Hexenjagden so weit wie möglich entziehen.