Silvester und eine Gesellschaftstheorie

Es war kurz nach Silvester und die politisierten Menschen hatten ein neues heißes Thema: Wie ordnet man die Videos aus deutschen Großstädten ein, die von dieser Nacht die Runde in den sozialen Medien machten? Damit meine ich nicht nur das von Frau Lambrecht, welches ich, im Vergleich zu ihren anderen Verfehlungen, für recht harmlos halte. Ich meine die Bilder von eskalierenden, überwiegend „westasiatischen“ Jugendlichen, welche teils auf Beamte und Rettungskräfte losgingen. Und natürlich beteiligte ich mich an der Diskussion. Zumindest verfolgte ich sie.

Bei uns Staufis steht das Thema Migration eher im Hintergrund. Deshalb überrascht es mich nicht, dass es bei uns doch recht kontrovers diskutiert wurde, sind wir doch aus ganz anderen Gründen zusammengekommen. Ich beobachtete, wie zwei Staufis in einer Chatgruppe recht hitzig aneinander gerieten. Da fiel mir auf, wie schön das wieder in meine Gesellschaftstheorie passt. Früher hätte man die beiden in die politischen Kategorien links (progressiv) und rechts (konservativ) eingeteilt. Aber funktioniert das heute noch so? Ich grätschte rein, verlautbarte einen Teil meiner Theorie, mit der ich zu erklären versuchte, warum es mutmaßlichen Linken so schwer fällt, Fehlverhalten von bestimmten Menschengruppen zu verurteilen.

Ich schrieb Folgendes:

Ich denke, es hilft zu verstehen, wie egalitäre Menschen ticken. Egalität = Gleichheit. Sie haben den Anspruch, niemanden aufgrund einer Gruppenzugehörigkeit oder äußeren Merkmales anders zu behandeln. Der Egalitäre möchte, dass Menschen aufgrund ihres Verhaltens bewertet werden und auch die Umstände berücksichtigt werden, die zu einem bestimmten Verhalten geführt haben könnten. Man möchte niemandem Unrecht tun und das geht nur, wenn man den Menschen richtig kennt, also Vorurteile ignoriert oder zumindest hinterfragt. Wenn jetzt jemand anfängt, ganze Gruppen in ein schlechtes Licht zu stellen, dann fühlt es sich für den Egalitären falsch an und er wehrt sich dagegen. Das kann sogar soweit gehen, dass er selbst Vorurteile gegenüber Menschen oder Gruppen entwickelt, die er selbst als Feinde der Egalität empfindet. Hier beginnt die Doppelmoral.

Der Egalitäre lastet sich damit viel Mühe auf und weiß aus eigener Erfahrung, dass es sich lohnt. Oft wurde er auch schon falsch behandelt und verhält sich so, wie er selbst gern behandelt werden würde. Der Egalitäre ist damit ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft, weil er Menschen Chancen gibt, die bei anderen keine mehr erhalten. Er neigt aber auch zu Naivität und der Leugnung von relevanten Unterschieden bei Menschen, die mit Äußerlichkeiten einhergehen. Was ihm Recht gibt, ist die Gewissheit, dass es immer auch Menschen gibt, die den Vorurteilen nicht entsprechen. Für eine Gesellschaft sind aber auch Menschen wichtig, die Vorurteile haben. Wie wir alle wissen, können diese zwar auch durch Manipulation entstehen, aber grundsätzlich kann es überlebenssichernd sein, sich an diesen zu orientieren und nicht jedes einzelne zu hinterfragen. Zudem ist es so leichter. Im gesamtgesellschaftlichen Mix machen beide eine Gesellschaft überlebensfähiger. Darum sollte man sich gegenseitig respektieren und den Diskurs miteinander führen, bis man auf zumutbare Lösungen für Probleme kommt. Ist die Egalität vorherrschend in einer Gesellschaft, wird`s Mist. Ist sie weg, wird`s auch Mist.

Kommentar zur Grafik: Die Elitäre ist die einflussreichste Gruppe. Die Legalitäre die zahlenmäßig größte Gruppe. Sie folgt den Regeln der Elitären. Die anderen Gewalten beruhen auf Werten und inneren Bedürfnissen, die man dem Menschen nicht abgewöhnen kann. Eine Gesellschaft ist stabil, wenn die Elitäre im Einklang mit der Libertären, Egalitären und Identirären ist, was sich in entsprechenden Regeln für die Legalitäre zeigt.

 

Vielleicht folgt noch ein Kommentar, in welchem ich über die Identitäre („was mir nah oder wie ich ist, ist mir wichtiger“) schreibe. Es folgt noch die Elitäre („die den meisten gesellschaftlichen Einfluss hat“) und die Legalitäre („die sich an die vorherrschenden Regeln hält“). Dann fügt sich meine Gesellschaftstheorie zu einem schlüssigen Bild zusammen.

Damit nicht genug. Mindestens ein Gruppenmitglied in besagter Diskussionsgruppe wollte mehr von meiner Theorie hören und fragte: Wie passt das Egalitäre mit der Kritik am Patriarchat zusammen? Ich konnte nicht anders und antwortete.
Die Aussage “Männer sind das Problem” passt nicht so richtig zum Egalitären. Die Pervertierung der Kategorien geschieht meist durch die Elitäre, indem sie sich der anderen Kategorien bedient. Sie spielt bei diesem Thema mit dem libertären Teil der Gesellschaft („Männer schränken Freiheiten ein“) und dem Identitären  zugleich („Männer sind mir fern, weil ich selbst kein Mann bin“). Das Konzept unter egalitär zu verbuchen, funktioniert, weil der Mann als der Feind von Gleichheit verkauft werden kann. Ein nicht-identitärer Mann wird sich gegen seinesgleichen stellen, weil ihm Gleichheit oder Freiheit wichtiger ist, als das, was ihm nah ist.

In meiner Theorie kann die Elitäre darauf angewiesen sein, unter den anderen Anteilen Verwirrung zu stiften (was nicht schwer ist, weil es da keine klaren Fronten gibt) oder sie mit der Aussicht auf Macht an sich zu binden. Ziel aller Strömungen ist es, je nach Thema, Einfluss auf die Legalitäre zu nehmen. Letztere macht dabei den größten Anteil der Bevölkerung aus – Menschen die sich an die Regeln halten oder einfach nur ihren Job machen. Will man auf diese maximalen Einfluss haben, muss man zur Elitären werden.

Egalitäre, Libertäre und Identitäre sind davon überzeugt, dass sie zur Elitären werden müssen, um ihre Prioritäten voranzubringen. Je nachdem, wie erfolgreich sie damit sind, schaffen sie das teilweise auch. Allerdings kann die Bildung einer Elite immer auch mit dem Verlust von Gleichheit (Hierarchie ist das Gegenteil von maximaler Gleichheit), Freiheit (Eliten können Freiheiten einschränken) oder Identität (Eliten bestimmen, wer man ist und wer einem nah ist) einhergehen. Diese Wechselwirkungen halte ich für ganz natürlich in unserer Gesellschaft. Alle Kategorien haben ihre Existenzberechtigung. Es gibt sie einfach zu verschiedenen Anteilen in unserer Gesellschaft, wild, je nach Thema, auf die Menschen verteilt.

Warum diese Gesellschaftstheorie? Was ich damit verbinde und ausdrücken will: Wenn die Elitäre sich gegen die Egalitäre, Identitäre und Libertäre wendet, dann wird sie scheitern. Sobald die drei anderen Kräfte zusammenfinden, und auf die Legalitäre mehr Einfluss haben, entsteht eine neue Elitäre, die im Gleichgewicht mit den Kräften wiederum Regeln für die Legalitäre macht. Das ist ein immer wiederkehrender Prozess, denn die Elitäre neigt stets dazu, machttrunken zu werden und die Grundlage ihrer Macht zu vergessen. Dann heißt es irgendwann wieder: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit (Identitäre) oder Einigkeit (Identitäre) und Recht (Gerechtigkeit/Gleichheit) und Freiheit sind des Glückes Unterpfand. Das ist ein natürliches, gesellschaftliches Gefüge, welches man berücksichtigen muss, will man eine Gesellschaft stabil, wohlhabend und friedlich halten.

So. Und nun warte ich darauf, dass die Kräfte erkennen, dass die aktuelle Elitäre nicht in ihrem Interesse handelt und diese darum abgelöst werden muss. Zudem bin ich extrem auf die neuen Regeln gespannt, die das Gleichgewicht bis zum neuen Scheitern erhalten sollen.

Und nun teile ich diese kleine Geschichte und diese Gesellschaftstheorie mit euch Lesern unseres neuen Blogs der Bewegung „Studenten stehen auf“. Vielleicht inspiriert sie euch ja, vielleicht lädt sie dazu ein, sie auf Herz und Nieren zu prüfen oder noch besser, eure eigenen Modelle und Theorien zu schaffen. Ich finde, es kann ein Mehrwert sein, die alltäglichen Muster und Abläufe auf eine Metaebene zu ziehen. Mir hat es immer geholfen, nicht alles so persönlich zu nehmen und einen respektvollen Umgang mit seinem Gegenüber zu wahren.